Call-Center-Einsatz im Geschäftskunden-Vertrieb

Von Sven Jänchen

Das Telefon gehört zu einem der wichtigsten Arbeitsmittel im Vertrieb. Es stellt sich also nicht die Frage, ob man telefoniert. Von Interesse ist lediglich, wann das Telefon Vorteile gegenüber anderen Kommunikationsmitteln wie Brief, E-Mail oder Besuch vor Ort hat. Hier spielen vor allem Effizienzbetrachtungen eine Rolle. Und: Wer soll telefonieren? Der eigene Innendienst, Außendienstler und Key Accounter oder vielleicht ein externes Call Center.

Je nach Einsatzzweck, der Mentalität und den Überzeugungen innerhalb der eigenen Organisation, wird diese Frage unterschiedlich beantwortet werden. In diesem Artikel sollen wesentliche Aspekte einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit einem Call Center beleuchtet werden. 

Gründe für den Einsatz von Call Centern
Unabhängig von der Grundsatzentscheidung gibt es wesentliche Gründe, die für ein Call Center sprechen.
Zum einen entlasten die externen Kräfte den eigenen Innen- und Außendienst. Dies ist vor allem bei Standardaufgaben wie Terminabstimmung, Nachfassen von Messeeinladungen oder dem Herausfinden von Fachansprechpartnern beim Kunden interessant. In einer extremen Form kann man den gesamten Innendienst vollständig an ein Call Center übertragen, wobei hier sowohl das Spektrum als auch die Komplexität der Aufgaben entscheidenden Einfluss besitzen.
Ein weiterer Grund: bei einfachen Telefonaufgaben, die in großer Zahl zu erledigen sind, verfügt das eigene Unternehmen vielleicht nicht über die Kapazität in der Vertriebsmannschaft. Auch die Effizienz in der Aufgabenerledigung in einem Call Center mit dediziert geschulten Kollegen kann deutlich höher sein.
Grundsätzlich kann eine Organisation auch entscheiden, den gesamten Verkaufsprozess oder zumindest wesentliche Teile davon auszulagern. Hier bestehen aber im B2B-Vertrieb erhebliche Beschränkungen, die vor allem mit der Erklärungsbedürftigkeit der Produkte und der Länge des Kaufprozesses verbunden sind. Erinnert sei an Entscheidungen als Gruppenprozess (Buying Center) und die subjektiv empfundenen Unsicherheiten auf Grund der meist hohen Produktkomplexität auf Seiten des Beschaffers. Beide Aspekte sprechen dafür, den persönlichen Verkauf im B2B-Vertrieb zu bevorzugen.

Grenzen überschreiten
Für die Tätigkeit der Call Center hat sich eine Unterscheidung eingebürgert, die an der Richtung des Telefonats ansetzt. Hier werden sogenannte Inbound-Calls von Outbound-Calls unterschieden.
Eingehende Anrufe werden von  geschultem Personal entgegengenommen. Dieses muss in der Lage sein, die Bestellungen von Kunden zu verarbeiten, Anfragen zu beantworten oder eventuell weitere Abteilungen zur Bearbeitung des Falls heranzuziehen (z.B. Eskalation im Kundendienst). Insofern kann hier mit festen Abfragen gearbeitet werden, wobei die Call Center Mitarbeiter (Agent) insbesondere über Produkt- bzw. Prozesswissen verfügen müssen.
Neben dem Produktwissen spielen Flexibilität, Reaktionsstärke und Wortgewandtheit der Telefonisten, die ausgehend telefonieren, die entscheidende Rolle. Zwar wird durch den in der Regel vorhandenen Gesprächsleitfaden ein gewisser Rahmen für das Telefonat gesteckt. Gleichwohl gelingt es erfolgreichen Agenten, ihren Gegenüber in ein tatsächliches „Gespräch“ zu verwickeln, das vom Leitfaden abweichend Kreativität verlangen kann. Im Idealfall hat der Angerufene nach dem Telefonat nicht das Gefühl, mit einem externen Mitarbeiter des Call Centers gesprochen zu haben — eine große Herausforderung.

Einsatzmöglichkeiten im Verkaufsprozess
Der Erfolg von Call Centern ist abhängig von den übertragenen Aufgaben, der Vorbereitung auf diese Arbeiten und der Schulung und Führung der Telefonisten. Letzteres ist für das beauftragende Unternehmen besonders wichtig. Die Mitarbeiter des Call Centers repräsentieren den Auftraggeber gegenüber dem Gesprächspartner. Je nach Ein-satzfall kann es sinnvoll sein, bei der Schulung der Agenten auch die Kultur des Auftraggebers zu transportieren und im Verlauf eines Projekts bei Kulturunterschieden auch entsprechend zu reagieren.
Mit Blick auf die mittlerweile auch in Deutschland übliche Untergliederung des Verkaufsprozesses in die Phasen Leadgenerierung, Leadqualifizierung, Presales und Sales ist offensichtlich, dass die Komplexität der Gesprächsinhalte mit Fortschreiten im Prozess zunimmt. Während es bei der Leadgewinnung und -qualifizierung häufig darum geht, einen grundsätzlichen Bedarf zu eruieren oder die Mitglieder des Einkaufsgremiums zu identifizieren, steigen die Anforderungen an die Produktkenntnis im weiteren Verlauf enorm an. Gleichzeitig nimmt – es sei an den Verkaufstrichter erinnert – in späteren Phasen die Fallzahl ab, was unter Kapazitätsgesichtspunkten dafür spricht, hier die interne Vertriebsabteilung verstärkt einzusetzen. Der Interessent muss sowohl im emotionalen wie im Wissensbereich überzeugt werden. Dies ist kaum am Telefon möglich, weshalb sich Call Center vor allem für die Unterstützung früher Verkaufsphasen eignen.
Ob in der klassischen Kaltakquise, d.h. das „Fischen im unbekannten Gewässer“ eines großen Marktes, unter Effizienzgesichtspunkten besser mit dem Call Center oder mit Marketingaktivitäten, die zu einer Selbstselektion potenzieller Interessenten führen, gearbeitet werden soll, diese Frage bleibt weiterhin in der Entscheidung des jeweiligen Vertriebsleiters. Sicher gibt es  Situationen, in denen mangelnde Bekanntheit und der Zwang zu schnellen Erfolgen den Einsatz von Call Centern auch in der Kaltakquise begründen können, auch wenn es auf Grund der unvermeidbaren Streuverluste häufig eine teure Form der Kundengewinnung darstellt.
Wie in vielen anderen Bereichen zahlt sich die Suche nach einem passenden Partner aus. Nicht nur, dass der Verantwortliche im beauftragenden Unternehmen einen kompetenten Counterpart im Projektleiter des Call Centers findet.

Qualifikation der Anrufer
Bedeutendes Kriterium für die Entscheidung sollten für den Auftraggeber die Agents im Call Center sein. Sie werden den Auftraggeber gegenüber Dritten repräsentieren und sind oft der erste Kontaktpunkt für potenzielle Kunden. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Daher ist es dringend zu empfehlen, sich während der Vorbereitung mit den Arbeitsbedingungen der Telefonisten vertraut zu machen. Fragen nach der Wechselhäufigkeit, der Art der Arbeitsverträge (festangestellte Dauerkräfte vs. Studentenjob), der Motivation und dem Vorwissen der Agenten bezüglich Produkt, Produktgruppe oder Branche sind keinesfalls despektierlich. In anderen Bereichen, z.B. der Zeitarbeit, ist sogar die Übergabe von Mitarbeiterprofilen üblich. Man sollte sich also nicht von den oft gut geschulten Vertriebsmitarbeitern des Call Centers allein vereinnahmen lassen.

Erfahrungen Inbound vs. Outbound
Wesentlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist, ob Erfahrungen bezogen auf die jeweilige Ausrichtung des Projekts vorliegen. So ist es nicht empfehlenswert, ein Call Center mit einem Outbound Projekt zu be-trauen, wenn es bisher überwiegend Inbound-Projekte realisiert hat. Zu prüfen ist, ob sich das Call Center als Ganzes, also von seiner Organisation und seiner Kultur mit dem in Rede stehenden Projekt identifizieren kann, oder ob ein kurzfristiger Lückenfüller gesucht wird.  Die Prüfung sollte ebenfalls den Erfahrungsschatz der einzusetzenden Telefonisten umfassen.

Räumliche Nähe
Um den Projekterfolg sicherzustellen, ist eine sowohl intensive als auch kontinuierliche Schulung notwendig. Hier empfiehlt es sich, insbesondere in längeren Projekten, ein Call Center in räumlicher Nähe zu finden. Zur Qualitätssicherung sind Telefonate stichprobenartig zu prüfen. Bei einigen Dienstleistern ist es allerdings nicht möglich, dies via Fernaufschaltung zu tun. Hier kommen nur Besuche im Call Center in Frage, was ebenfalls für kurze Wege spricht.

Einweisen und führen
Wie bereits ausgeführt, ist es die wichtigste Aufgabe des Beauftragenden, die fachliche Qualifikation der für ihn eingesetzten Agents zu sichern. Zum Einstieg in das Projekt haben sich halbtägige Intensivworkshops als Kickoff bewährt, in denen zunächst das Produktverständnis geschult und der Zweck des Projekts verdeutlicht wird. Ideal sind motivierte Agenten, die das Vertrauen in den Auftraggeber haben und sich aus Verständnisfragen ohne Hemmungen stellen. Dafür muss man aber in Vorleistung gehen und in dieses Vertrauen investieren.
Dies obliegt dem Auftraggeber. Auch wenn das Gegenüber im Call Center vielleicht ebenfalls diese Funktionsbezeichnung trägt, entbindet dies nicht von der eigenen Verantwortung. In letzter Konsequenz handelt es sich um eine Frage der Mitarbeiterführung. Hier die notwendigen Handwerkszeuge zu besitzen, das ist von Vorteil. Wichtiger noch ist es aber, die Kommunikation mit den Telefonisten während des gesamten Projekts aufrecht zu erhalten.

Gesprächsleitfaden
Nach der Partnerwahl beginnt die eigentliche Arbeit. Welche Informationen sollen am Telefon erhoben werden? Dabei sind sowohl die Situation (Erst- vs. Wiederholungsanruf) als auch die voraussichtliche Dauer des Gesprächs ausschlaggebend für die Datenmenge, die erhoben werden kann. Unabdingbar ist die Vorgabe eines klaren Leitfadens, der auch Vertragsbestandteil werden sollte. Gleichzeitig ist dafür zu sorgen, dass die erfassten Informationen in die Systeme des Auftraggebers effizient, datenschutzkonform und schnell übertragen werden.
Häufig wird die Erstellung des Leitfadens für das Telefongespräch als Teilleistung durch das Call Center gegen einen geringen Aufpreis angeboten. Da der Auftraggeber ohnehin Überlegungen zum Ziel des Projekts anstellen muss, ergeben sich die zu erhebenden Daten automatisch bei ihm. Andererseits haben die Projektmanager des Call Centers in der Regel exquisite Erfahrungen bezüglich Machbarkeit, Umfang sowie Inhalt der Fragen. Erfahrungsgemäß empfiehlt sich daher, vor dem eigentlichen Projekt die Erarbeitung des Leitfadens als separate Leistung zu beauftragen. Dabei lernen sich beide Seiten kennen.
Dabei definiert er lediglich das Mindestmaß an Informationen, die vom Call Center an den Auftraggeber zu liefern sind. Tatsächlich handelt es sich in den meisten Projekten um einen iterativen Prozess der Weiterentwicklung des Leitfadens. Dabei sollte jeder Iterationsschritt zwischen den Vertragparteien abgestimmt und idealer Weise schriftlich fixiert werden.

Datenverwaltung
In der Praxis werden häufig Basisdaten (zum Beispiel Adressen) vom Auftraggeber beigestellt. Das Call Center bearbeitet diese Daten und protokolliert die Reaktionen meist als Teil des Auftrags. Dabei sind die gesetzlichen Datenschutz-Bestimmungen zu beachten.
Wie und wo können die Call Center Aktivitäten auf effektive und effiziente Art und Weise dokumentiert werden? Oft bieten webbasierte Kundendatenbanken Gastzugänge für Call Center Mitarbeiter. Die Agenten arbeiten dann direkt in der CRM-Lösung des Auftraggebers, so dass die relevanten Informationen sofort der Vertriebsabteilung zur Verfügung stehen.
Der andere übliche Weg besteht im Datenaustausch von mehr oder weniger komplexen Excel-Tabellen oder XML-Dateien. Diese zeitnah in die meist vorhandene Kundendatenbank zu übernehmen, ist ein wichtiges Gebot, das nicht immer Beachtung findet. Die Folge sind Verzögerungen, schlechtere Datenbasis und nur eingeschränkte Aussagen über die Wirksamkeit des Call Centers.

Zusammenfassung
Der Einsatz von Call Centern hat im Geschäftskunden-Vertrieb nach wie vor seine Berechtigung. Dies gilt vor allem,  wenn gezielt einfachere Aufgaben an die externen Kollegen übergeben werden. Erfolgskritisch für ein solches Projekt sind drei Punkte:
1. Die Auswahl des Partners, der hinsichtlich seiner Firmenkultur und der Erfahrungen in seiner Organisation eine Passfähigkeit zum Auftraggeber und Projekt aufweisen sollte.
2. Das gemeinsame Erarbeiten eines Gesprächsleitfadens in einem iterativen Prozess auch während des Projekts und das intensive, fortlaufende Einweisen der eingesetzten Telefonisten.
3. Qualitätsaudits während des Projekts und eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen dem Projektleiter des Auftraggebers und den Agenten im Call Center.

Darüber hinaus sichert eine mindestens zeitnahe Datenübertragung und -integration in das Kundensystem des Auftraggebers das Projektcontrolling und ermöglicht frühzeitige Interventionen bzw. Optimierungen noch während der Projektlaufzeit.

Sven Jänchen
Nach Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur und BWL-Studium war er Unternehmensberater und leitet nun den Vertrieb bei ubigrate Dresden.

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