Wettbewerbsvorteile aus Daten – Predictive Analytics im Vertrieb

Von Dr. Dennis Proppe

Kundenorientierte Unternehmen stehen täglich vor der Aufgabe, den Einsatz ihrer Vertriebsressourcen möglichst effizient zu steuern und dabei ihre Ziele bei der Neukun-denakquise und der Kundenbindung nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei müssen ständig zukunftsgerichtete Fragen wie „Welche Interessenten werden am Ende zu Kunden?“, „Welche Produkte wird mein Bestandskunde noch kaufen?“ oder „Welcher Kunde ist abwanderungsgefährdet?“ beantwortet werden. Die meisten Unternehmen haben dabei inzwischen dank moderner CRM-Systeme sehr viele gute Daten über ihre Kunden. Mit Predictive Analytics kann man diese Daten nutzen, um diese drängenden Fragen zu beantworten. Dadurch lassen sich signifikante Deckungsbeitragssteigerungen und Kostensenkungen erreichen. Dieser Artikel beschreibt den Nutzen, den Ansatz und die Umsetzung von Predictive Analytics im Vertrieb.

Vertriebsorientierte Unternehmen müssen täglich viele kostspielige Entscheidungen treffen. Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der profitablen Steuerung von vielen Kundenbeziehungen aufsetzt, müssen ständig unsichere Entscheidungen treffen: Kundenakquise und -bindung sowie das Halten von abwanderungswilligen Kunden binden hohe personelle und finanzielle Ressourcen. So kostet ein Außendienstbesuch im persönlichen Verkauf mindestens 150 Euro, ein einziger Call-Center-Kontakt schlägt mit mehreren Euro zu Buche. Rabatte und Incentives, um einen Kunden im Unternehmen zu halten sind ebenfalls sehr teuer. Das Gleiche gilt für Produkte, für die im persönlichen Verkauf zu hohe Rabatte gewährt werden.
Das Problem: Bei jeder Vertriebsaktion ist das zukünftige Ergebnis zunächst unbekannt und kann meist nur grob durch Erfahrungswerte abgeschätzt werden. In der besseren Beantwortung der Fragen:
   – Wird dieser Interessent später Kunde?
   – Welches Produkt wird dieser Kunde als nächstes kaufen, wenn ich es anbiete?
   – Zu welchem Preis wird er noch kaufen?
steckt daher ein massiver Ertragshebel für die gesamte Organisation.

Versteckte Ertragshebel freilegen
Predictive Analytics können, richtig eingesetzt, diesen Ertrag realisieren und der gesamten Vertriebsorganisation Deckungsbeitragssteigerungen bis zu über 10 Prozent verschaffen. Doch was sind Predictive Analytics eigentlich?
Predictive Analytics bedeutet übersetzt „vorausschauende Analysen“. Dieser Begriff beinhaltet in der Regel zwei Komponenten. Zum einen sind damit fortgeschrittene statistische Analysen gemeint, die darauf optimiert sind, treffgenaue Prognosen zu machen. Diese haben sich aus Methoden des Data-Minings und der Statistik heraus entwickelt.
Zum anderen beinhalten Predictive Analytics immer eine Komponente, die die tatsächliche Umwandlung dieser Prognosen in mehr Geld für die Unternehmen sicherstellt. Diese Monetarisierung geschieht in der Regel durch Optimierung und Entscheidungsunterstützung direkt im CRM-System.

Klassische Anwendung: Interessentenmanagement
Ein klassisches Anwendungsbeispiel von Predictive Analytics im Vertrieb ist das Interessentenmanagement, d.h., die Beantwortung der Frage: „In welche Interessenten soll ich meine begrenzten Vertriebsressourcen investieren?“. Zu Beginn des Verkaufsprozesses sind von den im System gespeicherten Interessenten nur wenige Stammdaten bekannt. Für den Vertriebsmanager stellt sich jetzt die Frage, welche der Interessenten er von einem externen Telesales-Team für einen Kontaktpreis von 8 € anrufen lassen soll. Würde er alle Interessenten anrufen lassen, würde das Unternehmen mit den Kunden keinen Gewinn mehr machen.
Hier können Predictive-Analytics-Systeme große Kosteneinsparungen bewirken. In diesem Beispiel wurden die bereits vorhandenen Erfolgs- bzw. Misserfolgs-Da-ten sowie die Stammdaten aus vorhergehenden Aktionen genutzt, um statistische Muster in den Interessentendaten zu erkennen. Anhand dieser Muster wird dann für jeden neuen Interessenten berechnet, ob dieser eher eine hohe oder eine niedrige Abschlusswahrscheinlichkeit besitzt. Das Ergebnis wird dabei auf die denkbar einfachste Weise in das CRM-System ausgeliefert: Es wird eine Listenansicht generiert, in der die Interessenten mit der höchsten Kaufwahrscheinlichkeit oben stehen. Diese Liste kann nun einfach von oben nach unten abtelefoniert werden.
Erfahrungen aus Projekten des Autors zeigen, dass man in diesem Fall die Konversionsquoten der Telesales-Anrufe verdoppeln kann. In einem konkreten Projekt konnte die gewünschte Menge an Kunden mit der halben Anzahl der Anrufe konvertiert werden.

Kundenwert steigern
Das Thema „Kundenwert steigern“ eignet sich ebenfalls für den profitablen Einsatz von Predictive Analytics. Um den direkten Wert eines Kunden zu steigern, muss dieser entweder mehr Produkte kaufen oder mehr für die bezogenen Produkte bezahlen. Der erste Hebel wird durch eine „Next best offer“-Funktionalität genutzt. Hierbei werden mit den Daten aus dem Kundenbestand statistisch die Cross-Selling-Potentiale ermittelt. Dabei wird untersucht, welches Produkt aus dem Angebot des Unternehmens am besten zum aktuellen Stand der Kundenbeziehung passt. Als Ergebnis werden dann direkt im CRM-System für jeden Bestandskunden die Top-Produkte hinterlegt. Auf dieser Basis können sehr zielscharfe Kampagnen gefahren werden und/oder der persönliche Vertrieb sehr effektiv unterstützt werden. Der Verfasser hat bei einem Finanzdienstleister ein Next-Best-Offer-Projekt durchgeführt. Bei einer Testkampagne mit Kontrollgruppe konnten durch eine zielgenaue Kampagnenselektion zwischen 80 und 400 Prozent höhere Responsequoten als bei der klassischen Expertenselektion erzielt werden.

Praktische Tipps zur Umsetzung
Das Thema Predictive Analytics im Vertrieb birgt also ein hohes Potenzial für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Dies gilt umso mehr, da zurzeit erst ca. 25% der vertriebsorientierten Unternehmen es einsetzen.
So profitabel die Anwendung auch sein kann, es gibt einige Fallstricke, die bei der Umsetzung eines Predictive-Analytics-Projektes lauern. Drei der häufigsten Stolpersteine sind hier für Sie zusammengefasst.

Drei häufige Fallstricke

I. Technologie- und Werkzeugfixierung
Bei der Auswahl von Anbietern für Predictive-Analytics-Produkte dominieren oft sehr schnell Leistungsdaten und technologieorientierte Argumente. Dabei sollte man bedenken, dass ohne eine eindeutige strategische Zielsetzung, eine solide Projektplanung und gute In-House-Kommunikation auch die leistungsfähigste Plattform keine Erträge bringt. Die Erfahrungen des Autors zeigen, dass es einfacher und sehr viel günstiger ist, die Software und/oder die Hardware in einem Projekt aufzustocken, als am Anfang gemachte Versäumnisse bei den ‚weichen‘ Faktoren wieder auszugleichen.

II. Zu hohe Kosten durch „Overselling“ des Softwarepartners, keine Lizenzberatung
Der Markt für kommerzielle Data Mining-Suites und Predictive-Analytics-Werkzeuge wird von großen Anbietern dominiert. Die Verkaufsstrategien sind auf die Bedürfnisse sehr großer Unternehmen ausgerichtet. Die Preise für Unternehmenslösungen bewegen sich daher im sechsstelligen Bereich, mit hohen Lizenzkosten für jedes weitere Jahr. In der Regel genügen für mittelständische Unternehmen Einzelplatz- oder Light-Server-Versionen der angebotenen Software. Für diese genügen fünfstellige Investitionen. Zudem gibt es am Markt bereits einige sehr gute Open-Source-Werkzeuge. Wenn man diese mit einem Supportvertrag des Anbieters sowie einem schlanken Einführungsprojekt mit einem Umsetzungspartner kombiniert, kommt man meist günstiger und ebenso schnell ans Ziel.

III. Projektabbruch durch zu umfassend angelegtes Start-Projekt ohne Quick-Win
Das allererste Projekt im Bereich Predictive Analytics sollte einen überschaubaren zeitlichen und finanziellen Umfang haben. Das Startprojekt sollte auf jeden Fall einen konkreten Nutzen erzielen, z.B. durch eine Testkampagne. Viele Projekte scheitern daran, dass sie alles auf einmal abdecken wollen und dann auf mehrere Jahre mit einem sehr hohen Budget angelegt werden. Oft ändern sich dann Begleitumstände im Unternehmen und das Projekt wird gestoppt, bevor es Return on Investment generieren kann.

Checkliste für Predictive-Analytics-Projekte

1. Entwickeln Sie eine klare Vorstellung, was das Projektergebnis sein soll und legen Sie klare Kennziffern für das Ergebnis fest.

  • Welche Bausteine der Vertriebsarbeit sollen profitieren?
  • Wollen Sie Kosten reduzieren, mehr Umsatz machen, oder beides?
  • Welche Mittel sind Sie bereit für wie lange aufzuwenden, um das Projekt zu einem Erfolg zu führen?

2. Prüfen Sie, oder lassen Sie durch externe Partner prüfen, ob in der Organisation der profitable Einsatz von Predictive Analytics möglich ist.

  • Sind genug Kundenbeziehungen (~ 2500 +) vorhanden oder in Aussicht?
  • Sind genügend maschinell lesbare Daten zu Kontakten und Verkäufen vorhanden?
  • Dürfen diese Daten datenschutzrechtlich verwendet werden?
  • Ist genug Commitment im Unternehmen vorhanden, um das Projekt mindestens bis zu einem Quick-Win zu begleiten?

3. Lassen Sie sich bei der Auswahl der geeigneten Technologie nicht von technischen Daten und Overselling beeindrucken. Auch hier kann ein externer Berater helfen.

  • Prüfen Sie den Einsatz von Open-Source-Tools, sowohl auf Ebene des Analysetools als auch auf der Ebene der Datenbank.
  • Es gibt mittlerweile auch Angebote, bei denen die gesamte Technologie gemietet und als Service zu Verfügung gestellt werden kann, teilweise ist darin bereits die Erstellung der statistischen Analysen mit enthalten, so dass direkt Predictive Analytics als Lösung eingekauft werden können. (Disclaimer: Der Autor arbeitet für ein Unternehmen, welches unter anderem solche Lösungen anbietet).

4. Legen Sie das Projekt immer so an, dass nach kurzer Zeit ein erster Test des Systems mit einem Quick-Win, z.B. einer erfolgreichen Testkampagne abschließt. So ist es einfacher, alle Stakeholder im Unternehmen für das Projekt zu gewinnen.

Dr. Dennis Proppe
studierte BWL in Göteborg und Kiel. Er promovierte über Predictive Analytics im Vertrieb. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der G|PREDICTIVE Gradient GmbH.

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